Ein offener BriefLiebe Mitkatecheten,
beim letzten Treffen waren einige von uns der Meinung, es sei Diskriminierung, wenn die Kirche der Auffassung sei, dass niemand eine Ehe eingehen könne, der nicht in der Lage sei, den ehelichen Akt (auch Geschlechtsakt genannt) zu vollziehen. Dazu möchte ich Euch gern ein paar Überlegungen mitteilen.
1. Was ist Diskriminierung? Diskriminierung ist, Gleiches ungleich zu behandeln. Ein Beispiel: Es ist Diskriminierung, wenn zwei Menschen, die die gleiche Arbeit machen, nicht den gleichen Lohn erhalten, sofern es dafür keinen sachlichen Grund gibt. Als solche sachlichen Gründe gelten u.a. nicht das Geschlecht, die Hautfarbe oder die Religion.
Diskriminierung gilt als unzulässig, der Staat hat seine Bürger vor Diskriminierung zu schützen. Aus diesem Diskriminierungsverbot ergibt sich jedoch nicht etwa die Pflicht, nun Ungleiches gleich zu behandeln. Ungleiches ungleich zu behandeln, ist keine Diskriminierung.
2. Warum schreibe ich das? Die Idee, dass der eheliche Akt so zur Ehe gehört, dass ohne ihn keine Ehe möglich ist, hat nichts mit Diskriminierung zu tun. Sie steht vielmehr in engem Zusammenhang mit einer anderen grundlegenden Tatsache: dass nämlich aus Ehe und Geschlechtsakt Kinder hervorgehen können und das prinzipiell auch sollen. Nicht immer, nicht in allen Fällen und auch nicht jedesmal, aber grundsätzlich schon. Auch deshalb gehört der Geschlechtsakt in eine Ehe - weil Kinder möglichst mit Vater und Mutter aufwachsen sollen.
Für eine Ehe ist ein sogenannter Ehekonsens erforderlich. Um es mit den dürren Worten des kanonischen Rechts zu sagen: "Damit der Ehekonsens geleistet werden kann, ist erforderlich, daß die Eheschließenden zumindest nicht in Unkenntnis darüber sind, daß die Ehe eine zwischen einem Mann und einer Frau auf Dauer angelegte Gemeinschaft ist, darauf hingeordnet, durch geschlechtliches Zusammenwirken Nachkommenschaft zu zeugen." (Can. 1096)
Wer also schon bei der Eheschließung Nachkommenschaft definitiv ausschließt, der schließt eben keine Ehe. (Dies betrifft jene nicht, die aus Gründen des Alters oder der Gesundheit keine Kinder bekommen können, sofern sie, wie oben erwähnt, den Geschlechtsakt vollziehen können.)
3. In aufgeklärten, westlichen Gesellschaften scheint heute alles möglich zu sein: Ehen, die nicht zwischen einem Mann und einer Frau geschlossen werden; Ehen, die nicht auf Dauer angelegt sind; Ehen, die ohne geschlechtliches Zusammenwirken auskommen; Ehen, die Nachkommenschaft von Anfang an ausschließen.
Ich gehöre dem Jahrgang 1969 an. Das war einer der letzten Jahrgänge, in dem in Deutschland noch mehr Kinder geboren wurden als Menschen starben. Bis Mitte der 70er Jahre fiel in Westdeutschland die durchschnittliche Kinderzahl pro Frau rapide ab. Dieses Phänomen hieß schon bald "Pillenknick". Seitdem bekommt in Westdeutschland jede Frau durchschnittlich 1,3 bis 1,4 Kinder. Damit die Bevölkerungszahl langfristig konstant bleibt, müsste in modernen Gesellschaften aber jede Frau durchschnittlich 2,1 Kinder bekommen.
Seit nunmehr gut 35 Jahren - mehr als einer Generation - laden wir Deutschen unsere Lasten (Staatsschulden, Renten, Pensionen, Krankenversorgung, Altenpflege etc.) einer nachfolgenden Generation auf, die um ein Drittel kleiner ist als die Generation ihrer Eltern. Jeder von Euch, die Ihr jünger seid als ich, muss also rund die Hälfte mehr tragen als die Generationen vor uns. Allmählich kommt im Bewusstsein der Öffentlichkeit an, was das bedeutet.
Man kann sicher trefflich über Ursache und Wirkung streiten. Jedoch scheint mir klar zu sein, dass die fortschreitende Erosion von Ehe und Familie damit eine Menge zu tun hat. Auf Dauer wird und kann keine Gesellschaft existieren, die nicht mehr weiß, was Ehe und Familie sind.
Deshalb sind wir als Katecheten und als Christen schlecht beraten, uns die falschen Maßstäbe zu Eigen zu machen. Ein Verständnis von Ehe, das grundlegende Tatsachen wie den Zusammenhang mit Kindern ignoriert, wird uns nicht weiterhelfen.
Soviel für heute. Entschuldigt bitte, dass ich Euch mit solchen Überlegungen belästigt habe.
Bis zum Firmwochenende,
Martin