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Montag, April 18, 2005

Gelernter Katholik

Der Papst wirkt. Oder doch der Heilige Geist? So scheint es jedenfalls, schaut man auf die vorsichtigen Reflexionen von Thomas E. Schmidt in der Zeit der vergangenen Woche:
»Man hat gern Gewissheit, man möchte gern, dass der Papst in Glaubenssachen unfehlbar sei und dass die ehrwürdigen Doktoren es in Sittlichkeitsfragen seien, damit man seine Sicherheit hat«, schrieb Blaise Pascal. Auch das 17. Jahrhundert nahm den Papst als Figur der weltlichen Beruhigung in Beschlag, als Wahrheitsonkel und Moralopa. Den kann man auch gut finden, wenn einem das Christliche ansonsten zu anstrengend ist.

Jemand wie ich, der zwar gelernter Katholik ist, sich heute aber eher als einen liberalen Ironiker bezeichnen würde, schreckt daher auch nicht so sehr bei der öffentlichen Wallung der Gefühle auf, sondern durch die Bewegung, die der Papst in meinem Inneren auslöste. Wäre es möglich, dass da noch etwas auf mich wartet, jenseits der überschaubaren Ordnung der Dinge, in der ich mich eingerichtet habe? Und was könnte das sein, etwas Gutes oder doch etwas Ungutes? Meine Illusion der Beruhigung im Sinne Pascals besteht in der Überzeugung, dass wir bei der Lösung unserer Probleme nicht notwendigerweise auf die Empfehlungen einer Religion Rücksicht nehmen müssen – es aus historischen Erfahrungen vielleicht auch gar nicht tun sollten. Davon unberührt bleibt der Satz, dass jeder nach seiner Façon selig werden kann.
Und weiter:
Wenn sich die richtige oder die falsche Haltung zum Religiösen kaum mehr ausmachen lässt, bröselt dann auch die Trennung zwischen liberalem Ironiker und potenziellem Katholiken in einem selbst? Das Gleichgewicht, das man zwischen Weltzugewandtheit und religiöser Vorprägung für sich hergestellt hat, muss ja nicht für alle Ewigkeit bestehen. »Wenn unsere Lage wirklich glücklich wäre«, schreibt Pascal, »müssten wir unsere Gedanken nicht durch Zerstreuungen davon ablenken, um uns glücklich zu machen.«

Interessant, sich vorzustellen, was passieren würde, falls man die Priorität wirklich änderte. Es begänne ein schmerzlicher Prozess. In Pascals Augen ist unser Glück nur Schein, aber wir klammern uns verzweifelt an das eingebildete Glück. Keiner weiß, wofür wir es eintauschten, wenn wir es aufgäben. Für den eingefleischten Ironiker ist das keine sinnvolle Spekulation. Immerhin das muss er zugestehen: Alle Versuche, das Religiöse ohne Leidenschaft und Drama ins Leben einzufädeln, haben mit echtem Glauben nichts zu tun. Sie dämpfen nur vorauseilend dessen Energien.

Kaum erwähnenswert unter diesen Möglichkeiten ist die kuschelweiche Spiritualität, die sich heute am Papst aufrichtet und morgen wieder am Dalai Lama. Feige ist im Grunde auch die Begeisterung für die Grandeur der katholischen Inszenierung. Mag die Kirche als Felsen in der Brandung einer als quälend empfundenen Moderne Trost spenden – der Kulturkonservatismus hat mit Christus letztlich nichts zu tun. Und ebenso verdruckst sind die Versuche, einen kleinsten gemeinsamen Nenner unter den monotheistischen Religionen auszumachen, ähnlich wie in Lessings Ringparabel. Am Ende soll damit nur eine universalistische Moralphilosophie historisch beglaubigt werden: unironische Restmetaphysik.

Das sind die Antworten der anderen, an denen ich mich abarbeite. Der strenge Pascal würde diese zaghafte Einkreisung des Zentrums schnell als Ausweichmanöver entzaubern. Er sagt: »Das Herz und nicht die Vernunft nimmt Gott wahr. Das heißt glauben. Gott ist dem Herzen und nicht der Vernunft wahrnehmbar.« Aber was genau ist das Herz? Der Lohn, den ich erhalte, wenn ich den Sprung wage, oder der Antrieb meiner Gedankenbewegung? Ich denke in kleiner werdenden Kreisen.
Bemerkenswert. Ich war noch vor zwei Jahren in einer ähnlichen Situation. Damals nannte ich mich "praktizierender Gelegenheitskatholik und Kirchensteuerzahler". Seitdem ist eine Menge passiert.

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