Brigitte Kronauer
Ohne mich Gruppierungen anzuschließen, bin ich mir selbst gegenüber erzkonservativ, indem ich meine frühe Überzeugung von den Errungenschaften des Pazifismus und der Sozialdemokratie, auch wenn beides anscheinend aus der Mode kommt, nicht aufzugeben gedenke. Es mag schon sein, dass man mit zunehmendem Alter konservativer wird. Das hängt mit der Erfahrung von der Zerbrechlichkeit der Welt, der Menschen, der Gegenstände, der Hinfälligkeit von Ideen zusammen. Man hält das sogenannte Althergebrachte und schon lange Existierende, ob Lebewesen oder Ding, nicht mehr für unverletzlich, für etwas bedrückend Übermächtiges, das man schon allein deshalb attackierte, sondern erkennt es als Fragiles, von einer Generation der nächsten anvertraut, das man beschützen muss. [...]
Ich glaube, man kann, grob gesagt, aus zwei Gründen konservativ sein. Nämlich aus Angst vor einem in Innen- und Außenwelt drohenden Chaos. Das gilt für die Schwachen wie für die Starken, für die notorisch Geführten wie für die Führer. Die einen fürchten um ihre kleine Habe und Übersicht, die anderen um ihre große. Man besinnt sich auf den Trost konservativer Strukturen um den Preis gesellschaftlicher Dynamik. Ein zwiespältiger Prozess, der wohl von Zeit zu Zeit fällig ist, eine unvermeidliche Wellenbewegung, der man sich jedoch keineswegs als neuem Mainstream unterwerfen muss.
Interessanter ist das Konservativsein aus Unerschrockenheit, also dem Gegenteil von Angst. Ich meine damit eine trotzige, besser noch spielerische Treue gegenüber bestimmten Ritualen, Zeremonien des Lebensvollzugs, die sich gegen die allzu selbstverständliche, neuerdings durchs Fernsehen noch beschleunigte Übernahme gesellschaftlicher Kopflosigkeiten richten. Konservativer Lebensstil, wenn nicht aus Klassenarroganz, sondern aus individuellem Mut zu Einzelgängertum und Einsicht in die permanente Notwendigkeit von Form, am schönsten, wenn er leicht ironisch gehandhabt wird, ist im Grunde nichts anderes als Gestalt gewordener Eigensinn, Skepsis gegen Sound und Zeitgeist. Gertrude Stein, Idealtyp der Avantgardistin, hat einmal gesagt, vielleicht sei keine Sache wert, getan zu werden, werde sie aber getan, solle man sie mit größtmöglicher Grazie tun.
Brigitte Kronauer auf die von der Frankfurter Rundschau gestellte Frage: Sind Sie konservativ? Für die gleiche Reihe wird übrigens noch ein Interview mit Martin Mosebach angekündigt. [via Perlentaucher]
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