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Mittwoch, Juni 01, 2005

Logos

10.

Offenbar ist unser Glaube erhabener als jede menschliche Lehre, eben weil Christus, der unseretwegen erschienen ist, der ganze Logos ist, sowohl der Leib als auch der Logos und die Seele.

Sokrates schon, der unter jenen allen hierin der Entschiedenste war, wurde derselben Vergehen angeklagt wie wir. Man brachte gegen ihn vor, er führe neue Gottheiten ein, und er verwerfe die Götter, welche der Staat anerkenne.

“Den Vater und Schöpfer des Weltalls zu finden, ist nicht leicht; und wahrhaftig, nicht ungefährlich ist es, ihn vor allen zu verkünden, wenn man ihn gefunden hat.” All das hat unser Christus durch seine Macht zustande gebracht. Denn Sokrates hat niemand soweit geglaubt, daß er für seine Lehre in den Tod gegangen wäre; und doch hatte Sokrates Christus schon zum Teil erkannt.

War und ist er doch der Logos, der jedem innewohnt, der auch durch die Propheten und vor allem in eigener Person das Zukünftige vorher gesagt hat, als er unsere Menschennatur annahm und diese Lehre zu uns brachte!

Christus aber haben nicht allein Philosophen und Gelehrte geglaubt, nein, vielmehr auch Handwerker und ganz gewöhnliche Leute, und zwar mit Verachtung ihrer Ehre, ihrer Furcht und ihres Todes. So offenbart er sich als die Kraft des unnennbaren Vaters, als etwas ganz anderes gegenüber bloßen Gefäßen menschlicher Vernunft.

12.

Möchte doch jemand eine hohe Bühne besteigen und mit mächtiger Stimme herabrufen: “Schämt euch, schämt euch, das, was ihr offenkundig tut, auf Schuldlose zu schieben, und was euch und euren Göttern zugehört, solchen anzuhaften, die auch nicht das Geringste damit zu tun haben. Ändert euch, kommt zur Besinnung!”

13.

Als Christ befunden zu werden, das ist - ich gestehe es - der Gegenstand meines Gebets und meines angestrengten Ringens. Nicht als ob die Lehren Platos denen Christi fremd seien, sondern ich stelle nur fest, daß sie ihnen nicht in allem gleichkommen, wie ebenso wenig die jener anderen, der Stoiker, der Dichter und Geschichtsschreiber. Jeder von ihnen hat treffliche Aussprüche getan, soweit er Anteil an dem keimhaft ausgestreuten göttlichen Logos hat, und soweit er für das diesem Wesensverwandte ein Auge hat. Sie widersprechen sich aber in wesentlicheren Punkten. Sie zeigen also, daß sie es nicht zu einem weitblickenden Wissen, nicht zu einer unfehlbar klaren Erkenntnis gebracht haben. Was alles sich bei ihnen als gut gesagt findet, gehört uns Christen. Denn wir beten nächst Gott den Logos an, der vorn diesem ungezeugten und unnennbaren Gott ausgegangen ist, und wir lieben ihn, nachdem er unseretwegen Mensch geworden ist, um sogar an unseren Lieben teilzuhaben und uns dadurch Heilung zu schaffen. Alle jene Schriftsteller konnten kraft des ihnen innewohnenden, angeborenen Logoskeimes nur dämonenhaft das Wahre schauen. Denn der Keim einer Sache und das Nachbild einer Sache - je nach Empfänglichkeit verliehen - bleibt immer etwas ganz anderes als die Sache selbst.

Justinus: Zweite Apologie