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Donnerstag, März 24, 2005

Hat Leid einen Sinn?

Sinn ist eine knappe Ressource. Das meiste von dem, was Menschen heute tun und sagen, steht latent unter dem Verdacht der Sinnlosigkeit. Dies gilt schon für positiv besetzte Dinge, aber erst recht für die allermeisten Formen von Leid. Wer leidet, der leidet oft noch zusätzlich darunter, dass er sein Leid als sinnlos erachtet.

Oder er verwirft resignierend die Sinnfrage selbst als sinnlos. Ist das geschehen, so sind indes die Weichen gestellt, um in der Folge mit Hilfe der Theodizee-Frage ("Warum lässt Gott der Allmächtige sinnloses Leid zu?") auch die Frage nach Gott abschlägig zu beantworten. Die Logik schnurrt wie an einer Kette ab, der Preis jedoch ist hoch: Man muss sich dann mit einem Leben in Sinnlosigkeit einrichten (oder Sinn-Surrogate verwenden - das Angebot ist groß).

Nun reflektiert Heike Schmoll in der heutigen FAZ dieses uralte Thema von neuem. Interessant ist ihre Interpretation des Schreis Jesu am Kreuz: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" (Mk 15, 34, ein Zitat aus Psalm 22)
"Trotz aller unheilvollen Verherrlichung des Leidens, die es in der Geschichte des Christentums auch gegeben hat, steckt in Jesu Schrei die christliche Antwort auf die Theodizeefrage. Denn hier ist Gott nicht mehr der Angeklagte der skeptischen Fragen, sondern die Antwort liegt in dieser Frage selbst.

Gott verwickelt sich selbst in die Leidensgeschichte der Menschen, er ist ihnen im größten Ausgeliefertsein besonders nah, weil er selbst leidet. Aus dem Leiden der Menschen wird das konkrete Leiden Gottes. Im Vergleich zu philosophischen Gottesvorstellungen der Antike spiegelt sich darin ein völlig neues Gottesverständnis: Die christliche Religion kündet von einer Weltzuwendung Gottes, wie sie zuvor radikaler nicht gedacht worden war.

Jesus stirbt für die Welt. Gott gibt seinen Sohn dahin. In dieser Selbsthingabe wendet sich Gott der Welt mit all ihren Unzulänglichkeiten und ihrem Leiden zu. Deshalb ist das Leiden Christi gegen Georg Büchner der Fels des christlichen Glaubens. Seither ist es unmöglich geworden, die Frage nach Gott zu stellen und gleichzeitig von seiner Hinwendung zur Welt abzusehen. Der christliche Gott ist kein abstraktes Gegenüber, kein ferner Weltenlenker, sondern ein weltzugewandter Gott. Dafür steht das Kreuz Jesu."


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