Der Religionssoziologe
Wolfgang Huber, der telegene EKD-Ratsvorsitzende, ist wie stets verbindlich im Ton und klar in der Analyse. Man könnte meinen, hier spräche ein Ulrich Beck mit Spezialgebiet Religionssoziologie. Zieht man die Passagen mit pflichtgemäßer Katholizismuskritik vom Interview mit Spiegel Online ab, dann könnte er sich mit Papst Benedikt in vielen Punkten einig wissen:
Menschen zwischen 20 und 39 geraten in einen Lebensstau, wie der Bildungsforscher Paul Baltes das genannt hat. Sie müssen vieles gleichzeitig verwirklichen: Ausbildung, Beruf, Karriere, Partnerschaft. Dies hat bei ihnen Vorrang. Familie wird von vielen Jugendlichen zwar sehr positiv bewertet, doch im härter werdenden Konkurrenzkampf um einen Platz in der Gesellschaft tritt die Frage nach Kindern in den Hintergrund. Ich halte das für ein großes Unglück.
SPIEGEL ONLINE: Kinderlosigkeit - ein Zeichen allgemeiner Überforderung?
Huber: Überforderung ist das eine, Zukunftsunsicherheit das andere. Quer durch die Generationen schwindet die Zukunftsgewissheit.
SPIEGEL ONLINE: Woran liegt's?
Huber: Wir sind eine Gesellschaft, die sich daran gewöhnt hat, diese Zukunftsgewissheit aus materiellem Wohlstand und dessen Steigerung abzuleiten. Stillstand gilt bei uns schon als Katastrophe. [...] Den Menschen wurde eingeredet, ihre Freiheit verwirklichten sie dann am besten, wenn sie nur für sich selber sorgen und möglichst viel vom Leben haben. Jetzt merken sie, dass Freiheit und Verantwortung zusammengehören, weil keiner für sich allein lebt. Gleichzeitig dachte man, dass diese Gesellschaft immer säkularer wird, immer weniger auf Glaubensvoraussetzungen angewiesen ist, immer weniger eine Hoffnung braucht, die über die Verbesserung materieller Bedingungen hinausreicht. Das war ein Irrtum ...
SPIEGEL ONLINE: ... gegen den sich viele Menschen nach dem Tod Johannes Pauls II. gewandt haben?
Huber: In der Anteilnahme am Tod Johannes Pauls II. und an der Wahl Benedikts XVI. drückt sich die Einsicht aus, dass wir fürs Leben mehr brauchen als eigenes Tätigsein und dessen Erfolg. Eine innere Beteiligung und öffentliche Aufmerksamkeit in diesem Ausmaß hat es noch nie gegeben. Ich deute das als ein Signal dafür, dass sich in der persönlichen Haltung zu Fragen von Religion und Glaube auch im öffentlichen Bewusstsein etwas verändert.
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