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Montag, Juni 20, 2005

Chateaubriand

Der Mensch verfehlt sich beständig, „man ist enttäuscht, ohne genossen zu haben, . . . man wohnt mit einem vollen Herzen in einer leeren Welt, und ohne sich an etwas gewöhnt zu haben, ist man bereits alles Möglichen entwöhnt.“ Und warum? Weil der zwischen Vernunft und Begierde gefangene Mensch nach einer Glückseligkeit verlangt, die es nicht gibt; und da ihn dieses unmögliche Verlangen niemals verlässt, da „die Güter der Erde nur in die Seele graben und ihre Leere vergrößern, so muß man schließen, dass es etwas über der Zeit gebe . . . Die Vorsehung hat jenseits der Grenze einen Reiz verlegt, der uns anzieht.“ Weil es also den Himmel, die unsterbliche Seele und Gott wirklich gibt, sehnt der Mensch sich nach Glück und erleidet das Unglück.

Wie glaubhaft ist angesichts dieser unstillbaren Trauer die Beteuerung, das Christentum habe „immer in allem das Bestmögliche geleistet“, keine andere Religion enthalte „soviel Poesie und Humanität in sich“ und sei „der Freiheit, den Künsten und Wissenschaften so hold wie die christliche“? Wie passen solche Hymnen zum Eingeständnis des späten Chateaubriand, er sei „tugendhaft ohne Genugtuung“? Friedrich Sieburg, sein Biograph, spricht von der „Konstruktion eines Kulturchristentums“ – und hat damit zum Teil Recht. Chateaubriand will von der ästhetischen Überlegenheit des Christentums, der Schönheit der Gottesdienste und christlicher Themen in Malerei und Dichtung auf eine weltanschauliche Überlegenheit schließen. Dahinter aber verbirgt sich ein pädagogisches Konzept: Der Mensch als potentieller Zerstörer seiner Lebensgrundlagen braucht eine Instanz, vor der er sein Tun rechtfertigt, damit er weder an sich verzweifelt noch die Mitmenschen schädigt. Diese Instanz muss seinem Zugriff entzogen, kann also nur Gott sein. Glücklicher wird man dadurch nicht, wohl aber produktiver, schöpferischer, freier.

Aus einer Rezension von Alexander Kissler

FRANCOIS-RENÉ DE CHATEAUBRIAND: Geist des Christentums. Herausgegeben von Jörg Schenuit. Morus Verlag, Berlin 2004. 780 Seiten, 49,80 Euro.