Der neue Schirrmacher
Für jetzt nur ein Auszug aus dem Spiegel-
Frank Schirrmacher: Minimum. Vom Vergehen und Neuentstehen unserer Gemeinschaft. Gebundenes Buch, 192 Seiten, 16,00 EUR.Schirrmacher: Wir haben 20 Jahre versiebt. Wo ist denn das Kapital geblieben, das wir dadurch gespart haben, dass weniger Kinder auf die Welt kamen? Es wurde in mehr Urlaub investiert, in die Verringerung der Arbeitszeit, in den Konsum.
SPIEGEL: Es war der Weg in die Ich-Gesellschaft. Der Siegertyp ist einer, der nicht teilt. Wer abgibt, ist blöde.
Schirrmacher: Ja, und diese Botschaft ist das verheerendste Signal: Menschen sind bereit, Opfer zu bringen, aber sie sind nicht bereit, dann auch noch für objektiv blöd gehalten zu werden. Die Kinder von heute werden diejenigen, die später von ihnen leben wollen, vermutlich zur Kasse bitten. Wir haben mit einer der Urverfassungen der menschlichen Natur herumgespielt und aus dem Kinderkriegen, das eigentlich eine tiefgreifende, elementare, menschliche und ganz individuelle Frage ist, eine ökonomisch und lebenspraktische Vorteilsabwägung gemacht.
[...]
Schirrmacher: Dass Menschen immer Kinder kriegen - darauf ist ja unser Sozialstaat aufgebaut -, ist, wie sich gezeigt hat, nur so lange Naturgesetz, wie die Zahl der Kinder, Geschwister, Cousins und Cousinen, gleichaltrigen Freunde und Freundinnen im Verlauf der Sozialisation des Kindes nicht unter ein bestimmtes Minimum sinkt. Das aber ist jetzt geschehen. In Regionen mit wenigen Kindern bekommen auch diese Kinder wiederum weniger Kinder. Das ist ein staunenswerter Vorgang, der womöglich sogar einer biologischen Umprogrammierung entspricht.
SPIEGEL: Wir haben eine Art Mutation erlebt?
Schirrmacher: Wir haben jetzt ein völlig neues Programm im Kopf, das wir weitergeben, und das heißt: Weniger Kinder! Es handelt sich in dieser zweiten Generation also gar nicht mehr um eine Wertefrage. Es ist etwas verlernt worden. Das hat Folgen. Wir lasten diesen wenigen nicht nur unsere Schulden auf, wir lassen sie auch verwandtschaftlich allein, sie haben immer weniger Geschwister und Cousins, um sich die Lasten zu teilen. Sie werden mit einer alternden Gesellschaft mit vielen Menschen konfrontiert sein, die nie Kinder geboren haben und plötzlich Hilfe brauchen. Sie werden Schulden übernehmen müssen, die sie nicht gemacht haben, materieller und emotionaler Art. Sie und nicht die heute 45-Jährigen werden die wahre Sandwich-Generation sein: als Eltern, als wenige zuständig für die vielen Alten. Mindestens 40 Lebensjahre, die sie sich Abhängigen zu widmen haben. Erst ihren eigenen Kinder, dann ihren Eltern. Woher soll eigentlich der Altruismus kommen, der dafür nötig ist? Vor allem, da der nächste Verwandte dieser Kinder 30 Jahre älter sein wird.
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