Ich möchte noch einmal auf einen Aufsatz von Peter Knauer hinweisen:
Nicht unfehlbare Glaubenslehre,
aber doch definitive kirchliche Lehre?
Gedruckt in: ZKT 122 (2000) 60–74
Neben den eigentlichen Glaubensaussagen, die »aus sich«, nämlich von ihrem Inhalt her unfehlbar sind, gibt es auch bestimmte Vernunftwahrheiten, die vom Glauben vorausgesetzt werden und deshalb ihrerseits von der Kirche als definitiv gültig zu vertreten sind. Es gibt also Lehren, die nicht unfehlbar im Sinne des Glaubens sind, aber dennoch von der Kirche definitiv vorgelegt werden und nicht geleugnet werden können, ohne damit auch den Glauben zu verleugnen. Davon zu unterscheiden ist »nicht unfehlbare und auch nicht definitive, sondern bloß authentische« Lehre; bei ihr handelt es sich insbesondere um moralische Normen. Solche Lehre ist in der Weise verbindlich, daß, wer sie infragestellen will, die Beweislast zu tragen hat. Bei Vorlage eines unwiderleglichen Gegenbeweises hört solche Lehre auf, verbindlich zu sein.
Wichtig ist vor allem der Aspekt, dass Glaubensaussagen im eigentlichen Sinne »aus sich« (ex sese), von ihrem Inhalt her unfehlbar sind. Die Unfehlbarkeit kommt nicht dem Papst zu, sondern den Glaubensaussagen, die er ex cathedra spricht.
Häufig versteht man die Formulierung der Definition des I. Vatikanums für die päpstliche Unfehlbarkeit in dem Sinn, daß der Papst »aus sich«, nämlich aus eigener Machtvollkommenheit unfehlbare Glaubensdefinitionen erlassen könne und dazu nicht der Zustimmung der Kirche bedürfe. Das »ex sese« müßte sich dann auf die Person des Papstes beziehen.
Grammatisch ist diese letztere Deutung, so verbreitet sie auch sein mag, kaum möglich. Denn nach den Regeln der lateinischen Grammatik bezieht sich das Reflexivpronomen auf das Subjekt des Satzes. Nicht der Papst, sondern seine Definitionen sind das Subjekt des Satzes. Es wäre deshalb bereits semantisch unzutreffend, die Bedeutung des »ex sese« auf die bloße Ablehnung des »ex consensu ecclesiae« und damit des sogenannten Gallikanismus einzuschränken. Es hat vielmehr die positive Bedeutung, daß die Eigenschaft der Irreformabilität den Definitionen aufgrund eines in ihnen selber liegenden Sachverhalts zukommt.
Meines Erachtens deckt sich Knauers Interpretation durchaus mit der von Hermann Josef Pottmeyer (in der Zeitschrift 30 Tage). Pottmeyer ist Mitglied der Internationalen Theologenkommission und emeritierter Professor für Fundamentaltheologie an der Universität Bochum.
Der Vorschlag Hans Küngs lautete, das Dogma aus formalen Gründen zu „annullieren“, da das Konzil bei seiner Definition aufgrund historischer Umstände in seiner Entscheidung nicht frei gewesen sei. Außerdem mußte man das Konzil wegen des Krieges vorzeitig abbrechen. Welchen Vorschlag würden Sie dagegen machen?
POTTMEYER: Küng war der Meinung, daß das I. Vatikanum den Primat als eine absolute Monarchie des Papstes und die päpstliche Unfehlbarkeit als A-priori-Unfehlbarkeit definiert habe – Vorstellungen, die mit der Bibel und mit der Tradition der Kirche unvereinbar seien. Aber das I. Vatikanum verdient diesen ihm anhaftenden schlechten Ruf nicht. Im 19. und im 20. Jahrhundert hatte sich eine maximalistische Interpretation der beiden Dogmen breitgemacht, von welcher auch viele Konzilsväter nicht frei waren. Sie hat das Bild, das man sich von diesen Dogmen machte, bis heute inner- und außerhalb der Kirche bestimmt.
Das gestaltet die Dinge noch komplizierter. Wie kann man da einen Ausweg finden?
POTTMEYER: Man muß überprüfen, ob die Möglichkeit einer relecture der Dogmen von 1870 gegeben ist, und zwar auf der Grundlage einer anderen als der lange vorherrschenden maximalistischen Interpretation – einer Interpretation nämlich, die ebenfalls als legitim zu gelten hat und die mit der vom II. Vatikanum vorgeschlagenen Communio-Ekklesiologie und auch mit einer weniger zentralistischen Primatsausübung vereinbar ist. Diese Interpretation gibt es: es ist die Interpretation der Minorität des I. Vatikanums. Wir finden sie in den Texten und Akten des Konzils und in einigen nach dem Konzil gemachten offiziellen Erklärungen des Lehramtes, mit denen man das Dogma vor Mißverständnissen schützen wollte.
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