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Freitag, September 30, 2005

Europa

Im August hatte ich den Merkur-Essay von Walter Laqueur schon einmal lobend erwähnt. Seinerzeit bin ich allerdings beim Versuch, die wichtigsten Passagen zu zitieren, an der Fülle des Materials gescheitert. Nun hat mir Arnulf Baring (kann sich noch jemand an ihn erinnern?) in der Donnerstagsausgabe der FAZ die Arbeit abgenommen und ausführlich wörtlich zitiert. Hier seine Auswahl:
Nach Befunden der United Nations Population Division lebten im Jahre 1900 21 Prozent der Weltbevölkerung in Europa. Heute sind es weniger als 12 Prozent, 2050 werden es den Vorausschätzungen dieser UN-Behörde nach 7 Prozent und am Ende unseres Jahrhunderts weniger als 4 Prozent sein.

Diesen Projektionen zufolge wird die deutsche Bevölkerung von gegenwärtig 82 Millionen bis Ende des Jahrhunderts auf 32 Millionen sinken, die Einwohnerschaft Italiens wird von 57 auf 15 Millionen schrumpfen, die Spaniens von 40 auf 11,9. Noch dramatischer wird der Niedergang in Osteuropa sein. Bis 2050 wird die Einwohnerzahl der Ukraine um 43 Prozent abnehmen, in Bulgarien werden es 34 Prozent weniger sein, in den baltischen Staaten 25 Prozent, und nichts anderes wird auch in der Russischen Föderation erwartet. Am Ende unseres Jahrhunderts werden im Jemen mehr Menschen leben als in Rußland.
Eine Trendwende hält Laqueur für unwahrscheinlich, da die Geburtenrate in Europa seit 150 Jahren kontinuierlich gefallen sei.
Das Europa des Jahres 2050 wird ein vergreister Kontinent sein. Nehmen wir Deutschland als Beispiel. Hier leben heute 45 Millionen Menschen in der Altersgruppe zwischen 20 und 60 Jahren. Den Hochrechnungen zufolge werden es 2050 nur noch 30 und 2100 bloß 20 Millionen sein, selbst wenn der Zuzug im gegenwärtigen Tempo weitergeht. Um die Wirtschaft des Landes in Gang und den Sozialstaat funktionsfähig zu halten, wird Deutschland unbedingt Hilfe brauchen, und die kann nur von außen kommen. Es wird mehr Einwanderung als heute geben müssen – und dabei gibt es heute in allen europäischen Staaten einen stark wachsenden Widerstand gegen Immigration.
Nächste Frage: Woher sollen die Zuwanderer kommen? Aus Osteuropa wohl kaum, also aus Afrika, dem Nahen Osten und aus Südasien.
Wenn eines von vier Kindern, die heute in Deutschland geboren werden, ausländischen Ursprungs ist, dann wird es in zehn, fünfzehn Jahren eines von drei sein. [...] Und die genannten Zahlen sind keine Projektionen, sondern gegenwärtige Realität; etwa 30 bis 40 Prozent der jungen Menschen unter 18 Jahren in westdeutschen Städten wie Köln und Duisburg, in großen Teilen Hamburgs und Frankfurts sind fremder Herkunft.
Und verwurzeln oder assimilieren sich nicht.
Viele der Immigranten von 2005 wollen keine Integration, sie leben in Gemeinschaften, die von der Mehrheitsgesellschaft des Gastlandes vollkommen abgesondert sind. Dies ist gleichermaßen in großen und kleinen Städten der Fall, diese Menschen haben keine deutschen, französischen oder britischen Freunde, sie treffen sich nicht mit ihnen, sehr häufig sprechen sie auch deren Sprache nicht. Ihre Prediger versichern ihnen, ihre Werte und Traditionen seien denen der Ungläubigen weit überlegen, und jeder enge Kontakt mit diesen, auch wenn es Nachbarn sind, gilt als unerwünscht. Die jüngeren Immigranten beklagen sich, zu Opfern gemacht und ausgeschlossen zu werden, aber ihre soziale und kulturelle Ghettoisierung geschieht größtenteils freiwillig.
Was ist mit dem Euro-Islam, der modernen und toleranten Brücke zwischen Orient und Okzident?
Es gibt nur wenige Befürworter des Euroislam, und manche von ihnen [...] vertreten eine Version von Religion für ihre aggressiven Anhänger und eine andere, gemäßigte und aufpolierte für nichtmuslimische Europäer, die gern glauben, was sie zu hören bekommen – wenn es nur Hoffnung auf Dialog und friedliche Koexistenz in Aussicht stellt.

Rettung ist kaum von einer neuen multikulturellen Synthese zu erwarten [...] Das Erbe der europäischen Linken und die Scharia, europäischer Feminismus und die orthodox-islamische Lebensweise, europäische Kultur und wahhabitischer Islam sind nicht zu versöhnen. Solange Muslime überzeugt sind, ihre Religion solle ihre Politik bestimmen, nicht die Mehrheit, sondern Gottes Wille (wie ihn die Prediger interpretieren) solle entscheiden, werden die Chancen für einen Konsens zum Thema Demokratie gering bleiben.

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