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Dienstag, Dezember 07, 2004

Die Frankfurter Rundschau über religiös motivierte Konfliktlagen in Neukölln: "Wir haben hier ein Problem." Eines, das ganz unmittelbar mit einem Thema zusammen hängt, das noch vor wenigen Jahren auch im Rollberg keines war: dem Glauben.

Niemand in der Siedlung weiß genau, wie es dazu kam. Klar ist jedoch, das bei "Madonna" vor wenigen Jahren plötzlich das Wort "haram" - sündig - die Runde machte. Ein Mädchen ohne Kopftuch: haram. Gummibärchen mit Gelatine: haram. Die Regeln des Ramadan nicht befolgen: haram. Eine Entwicklung, die bizarre Blüten treibt: Vor einem Monat weigerten sich plötzlich zwei achtjährige arabische Mädchen, mit der letzten verbliebenen Blondine bei "Madonna" zu spielen - Begründung: Die Deutsche sei sündig und somit der Hölle geweiht. Gabriele Heinemann wurde derweil schon mehrfach als "Nutte" beschimpft - weil sie sich erdreistet, ihrer weiblichen Klientel die Selbständigkeit zu predigen.

"Religion wird für die Leute hier immer wichtiger", sagt auch die Islamwissenschaftlerin Andrea Schwendner, die in der Diakonie-Beratungsstelle "Al-Muntada" arbeitet. Noch Anfang der 90er Jahre habe kaum eine moslemische Frau in Neukölln ein Kopftuch getragen - heute ein fast undenkbarer Zustand. Mögliche Gründe dafür gebe es viele: die iranische Revolution, die palästinensische Intifada und natürlich der 11. September 2001, von der "Koalition der Willigen" zum Auftakt eines weltweiten Glaubenskrieges stilisiert. Dazu komme die deutsche Dauerwirtschaftskrise mit fehlenden Lehrstellen, grassierender Arbeitslosigkeit, kollektiver Depression - ein Zustand, der sich in weiten Teilen Neuköllns, wo überdurchschnittlich viele von Sozialhilfe leben, trefflich beobachten lässt.

"Sie müssen verstehen", sagt Andrea Schwendner, "für die Leute hier endet die Welt am Hermannplatz". Die durchschnittliche deutsche Leitkultur, das sei aus Sicht des durchschnittlichen Zuwanderers im Rollberg: Perspektivlosigkeit, Arbeitslosigkeit, zerrüttete Familien, Gewalt, Alkoholismus. "Wenn dann gesagt wird: Nehmen die Ausländer auch unsere Werte an - dann kann ich nur fragen: Ja welche Werte denn?" Insofern dürfe man sich nicht wundern, wenn ein Imam, wie kürzlich in der Kreuzberger Mevlana-Moschee, über "stinkende Deutsche" lästere. "So was hört man hier öfter", sagt auch "Madonna"-Leiterin Heinemann. Desillusionierung mache nun einmal "anfälliger für Ideologie".

Deswegen sieht man seit geraumer Zeit auch immer wieder Werber aus den etlichen Neuköllner Moscheen durch den Rollberg laufen, wie Handelsvertreter, nur, dass ihre Ware Allah heißt. Deren Botschaft laute: Ihr habt keine Chance, die Deutschen wollen euch nicht haben, kommt zu uns. "Da sind sie wichtig, hier sind sie nix", sagt Gabriele Heinemann, die mit Sorge betrachtet, wie ihre Mädchen zunehmend eingeschüchtert werden, wenn sie denn überhaupt noch die Türen des Sündenpfuhls "Madonna" durchschreiten. Es drohe ein Staffellauf aus Frust, Radikalisierung und Gewalt. "Wir müssen aufpassen, dass wir uns hier keine Slumbevölkerung heranziehen."

Nicht, dass es in Neukölln keine Versuche gäbe, den Trend zu stoppen und vor allem den jungen Muslimen neue Perspektiven zu bieten. Im Arabischen Kulturinstitut etwa sitzt Nazar Mahmood, ein untersetzter Herr mit rotem Karo-Pullover und erläutert detailreich die diversen Integrationsprojekte, die sein Verein in den vergangenen sechs Jahren angestoßen hat. Er wird dafür angefeindet, in einem anonymen Rundbrief ist er als Verweser der arabischen Kultur beschimpft worden. Mahmood aber sagt trotzig: "Ich gebe nicht auf." Ihn interessiert nicht das Kopftuch, er kämpft dafür, dass sich darunter etwas tut. "Das ist mein Land", sagt der gebürtige Iraker, er will es nicht denen überlassen, die es zu spalten trachten - er meint damit gleichermaßen seine Glaubensbrüder und die Multi-Kulti-Verächter auf der deutscher Seite.
[via Schockwellenreiter]