Gott und die Schwingungen der Farbe überschreibt Thomas Wagner sein Stück im heutigen FAZ-Feuilleton über den Maler Alexej von Jawlensky und dessen Formel, Kunst sei "Sehnsucht zu Gott". Ein Auszug: "Wenn er zu seinen 'Abstrakten Köpfen' bemerkt: 'Sagen Sie jedem, daß das kein Gesicht ist. Es ist das nach unten sich Abschließende, das nach oben sich Öffnende, das in der Mitte sich Bergende', so war es diese erweiterte Auffassung des Gesichts, in der er die Möglichkeit entdeckte, seine Kunst ins Religiöse zu erweitern. Er hatte verstanden, 'daß die große Kunst nur mit religiösem Gefühl gemalt werden soll' und daß er das 'nur in das menschliche Antlitz bringen' konnte. Im Unterschied zur Ikonenmalerei, die 'das eine Bild' beständig wiederholt, wiederholt Jawlensky unablässig die Hinwendung zur Transzendenz, variiert aber das Bild. Was, wenn Jawlensky ebendies versuchte: das Überpersönliche eines 'vera ikon' an das Serielle und die Farbe zu binden?
Modern wäre Jawlensky dann nicht, weil er den fauvistischen Farbimpuls aufgenommen und für sich nutzbar gemacht hat. Auch führte sein Weg nicht einfach in die Abstraktion. Radikal und einzigartig wäre seine Malerei, weil sie den Verlust einer transzendent verbürgten Ordnung in der Serialität auffängt, statt eine Verbindung zum Göttlichen lediglich zu behaupten. Sind abstraktes Schema und individueller Ausdruck im menschlichen Gesicht an sich schon untrennbar, so schaffen Jawlenskys Serien nun den Raum einer Zwillingsexistenz.
Denn Gott als das Absolute läßt sich nicht zeigen wie ein Baum oder eine Vase. Zwar vermag auch ein einzelnes Bild auf Transzendentes zu verweisen; doch bleibt es dabei Ausdruck eines individuellen Wunsches und somit kontingent. In einer offenen Serie hingegen gerinnt die Sehnsucht nach Transzendenz selbst zur Struktur. Wie die Vision eines Gesichts anwesend ist und sich doch im Spiel von Farben und Formen wieder verliert, so zeigt sich im Prozeß des endlosen Sich-Annäherns auch Transzendentes indirekt. Es ist im Modus der Abwesenheit anwesend oder in dem der Anwesenheit abwesend. Jawlensky füllt das Serielle also nicht, wie in der Forschung oft behauptet, schlicht mit mystisch-religiösem Sinn aus. Er vertraut vielmehr auf von der Malerei erzeugte Resonanzen. Im Schema des Gesichts aktiviert er die Eigenschwingungen der Farbe und baut darauf, das Transzendente werde in einer resonanten Koppelung antworten und mitzuschwingen beginnen. Frei von jeder Intention, frei von jeder subjektiven Zuwendung."
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