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Mittwoch, Mai 25, 2005

Wahrheit vs. Überlieferung

Durch das Eintreten für die erkannte Wahrheit sind die Reformatoren gemeinsam in Gegensatz zu kirchlichen Überlieferungen jener Zeit geraten. Übereinstimmend haben sie deshalb bekannt, daß Leben und Lehre an der ursprünglichen und reinen Bezeugung des Evangeliums in der Schrift zu messen sei. Übereinstimmend haben sie die freie und bedingungslose Gnade Gottes im Leben, Sterben und Auferstehen Jesu Christi für jeden, der dieser Verheißung glaubt, bezeugt. Übereinstimmend haben sie bekannt, daß Handeln und Gestalt der Kirche allein von dem Auftrag her zu bestimmen sind, dieses Zeugnis in der Welt aufzurichten, und daß das Wort des Herrn jeder menschlichen Gestaltung der christlichen Gemeinde überlegen bleibt.
Aus der Leuenburger Konkordie

27 Comments:

At 5/25/2005 02:24:00 PM, Blogger Petra said...

Ich sehe das Hauptproblem des heutigen Mainline-Protestantismus darin, dass die eigenständigen Elemente der Theologie der Reformatoren sich hauptsächlich um die Frage nach Heil und Verdammnis des Menschen drehten. In einer modernen Welt, wo man sowieso glaubt, dass alle in den Himmel kommen, ist dieser ganze Fragenbereich nebensächlich geworden. Auch das sola-scriptura-Prinzip ist durch die Entwicklung der Naturwissenschaften und die historisch-kritische Methode arg in Misskredit geraten. So definieren sich heute die protestantischen Kirchen in Europa hauptsächlich ex negativo: "Das wollen wir nicht, das auch nicht, und das ist auch unwichtig."

Was heute noch an positiven Elementen der protestantischer Theologie und Tradition da ist, ist von der katholischen kaum mehr zu unterscheiden - zumal jene Elemente der protestantischen Theologie und Praxis, die nicht direkt aus der Bibel ableitbar waren (Dreifaltigkeitslehre, Christologie, Feiertage, liturgische Elemente), sowieso immer ein "Wildern" in den Wäldern der christlichen (katholischen) Tradition darstellten.

Der Mainline-Protestantismus steht also vor einer Identitätskrise, die bisher vor allem dadurch überdeckt wird, dass man sich eben von außen (also von der katholischen Kirche) nichts sagen lassen will. Als theologische Herausforderung an den Katholizismus ist dieser Protestantismus bereits zu schwächlich; es geht ihm nun hauptsächlich darum, seine eigenen Strukturen und Institutionen zu verteidigen - während man den eigenen Wahrheitsanspruch, der früher noch die Rechtfertigung für diese Institutionen bedeutete, bereits aufgegeben hat.

 
At 5/25/2005 09:57:00 PM, Blogger Dr. Matthias O. Will said...

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At 5/26/2005 08:07:00 AM, Blogger Petra said...

Muss bald weg (zur Fronleichnams-Prozession :-)), deshalb nur kurz:

Natürlich muss die Bibel interpretiert werden, doch die Frage ist: nach welchen Kriterien?

Mit dem "Wildern" habe ich gemeint, dass dabei die protestantischen Kirchen vom sola-scriptura-Prinzip abgewichen sind; denn wenn das Lesen der Bibel wirklich ausreicht, um alles über Christus zu verstehen, warum hat es dann in der Geschichte des Christentums Jahrhunderte gedauert, um sich über grundlegende christologische Fragen zu einigen?
Ich habe damit gemeint, dass der Protestantismus zwar einerseits die Tradition der Kirche als Verfälschung des Glaubens ablehnt und sich ausschließlich auf die Bibel beruft, aber andererseits auf ebendiese Tradition zurückgreifen muss, damit das nicht alles in Beliebigkeit endet (was ja durch die Enstehung von tausenden Denominationen im Grunde dann eh geschehen ist).

Natürlich liegt die Wahrheit in Jesus Christus: doch was bedeutet das? Hatten die Arianer (Nestorianer, Gnostiker, usw.) vielleicht alle Recht? Wer bestimmt, was wirklich zutrifft und was nicht?

Genau das bedeutet, wenn wir sagen, dass die Kirche die "Hüterin der Wahrheit" ist. Um Gottes Willen! Verstehst Du denn nicht, dass wir heute den Arianismus hätten (falls es das Christentum überhaupt gäbe), wenn es kein kirchliches Lehramt gegeben hätte?! Wie oft habe ich das eigentlich schon erklärt? Und warum um Gottes Willen kommt dann immer die gleiche stereotype Antwort "aber die katholische Kirche hält sich für die Hüterin der Wahrheit" (was offenbar ein Schimpfwort sein soll)... Also im Grunde: "es kann nicht sein, was nicht sein darf." Oder noch vielmehr: "Jemand anderer darf nicht denken (und sagen), was ich nicht denke."

 
At 5/26/2005 09:41:00 AM, Blogger Dr. Matthias O. Will said...

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At 5/26/2005 09:50:00 AM, Blogger Dr. Matthias O. Will said...

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At 5/26/2005 09:56:00 AM, Blogger mr94 said...

Ich muss leider arbeiten, darf bestenfalls heute in die Abendmesse, prozessiert wird am Sonnabend. Ich freue mich für Euch glückliche Österreicher!

In meiner Heimat, einer katholischen Enklave mitten im protestantischen, heute eher neuheidnischen Umfeld, ist Fronleichnam nach wie vor eine Art wilder Feiertag. Vor zwanzig Jahren noch waren alle Geschäfte geschlossen, die meisten Betriebe auch (Betriebsferien), die Schulen sowieso. Das ist zwar inzwischen auch abgebröckelt, aber auch heute noch ist vormittags Feiertagsruhe und Zeit für die Prozession.

Jetzt zu Matthias: "Aber wenn sich die römisch-katholische Kirche als diese Hüterin versteht, dann kann doch logischerweise keine (vollständige) Wahrheit außerhalb der römisch-katholischen Kirche sein." So ist es. Die einzige Ausnahme könnten die orthoxen Kirchen bilden, aber dazu weiß ich letztlich nicht genug.

 
At 5/26/2005 10:16:00 AM, Blogger Dr. Matthias O. Will said...

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At 5/26/2005 03:24:00 PM, Blogger mr94 said...

Ja, ich kläre den Begriff. Das braucht aber noch Zeit. Nach Sünde und Heil kommen als nächstes - na, was wohl? - Vergebung und dann Erlösung. Danach sehe ich weiter. Bekehrung? Gnade? Ewiges Leben? Fegefeuer?

Insofern würde es besser passen, wenn wir erst einmal das Thema Rechtfertigung behandeln würden. Bis zu Liebe, Glaube, Tradition und Kirche wird es wohl noch etwas dauern.

 
At 5/26/2005 03:25:00 PM, Blogger mr94 said...

Ich könnte aber auch Gastbeiträge entgegen nehmen. Oder vielleicht möchte jemand von Euch Begriffe aus meiner Liste erläutern? Ich würde dann jeweils Links setzen.

 
At 5/26/2005 05:32:00 PM, Blogger Dr. Matthias O. Will said...

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At 5/27/2005 12:07:00 AM, Blogger Petra said...

Ein paar Punkte zu Deinem verlinkten Beitrag zu Küng:
Womit ich völlig einverstanden bin, ist das Argument, dass äußere Konformität gegenüber dem Gesetz nichts gilt, wenn dabei die Liebe zu den Mitmenschen und zu Gott nicht beachtet wird. Das ist etwas, was wir Christen uns immer wieder vor Augen halten müssen.

Zu den anderen Punkten allerdings einige caveat:
Regeln, Gesetze: Diese wurden von Gott den Menschen gegeben. JESUS WAR GOTT. Nur ihm stand es zu, Regeln und Gesetze zu ändern bzw. zu überschreiten - dem Menschen nicht.

Solidarität mit Ausgestoßenen:
Solidarität bedeutet im Kontext Jesu überhaupt nicht Akzeptanz der vorigen Lebensweise. Im Gegenteil: es bedeutet ein Zugehen auf alle Menschen und einen Ruf an alle Menschen, ihr sündhaftes Leben hinter sich zu lassen und Christus nachzufolgen. (Vielleicht spielst Du in Deinem Beitrag eh darauf an, ich will das nur einmal klarer herausstreichen.) Die Schrift lässt gar keinen Zweifel daran, dass Menschen wie Matthäus oder die Sünderin vorher ein sündhaftes Leben geführt haben. Aber sie haben eben auf Gottes Ruf geantwortet, indem sie ihre Sünden bereut haben und Ihm nachgefolgt sind.

Sündenvergebung: Das ist eine Fortsetzung der beiden oberen Punkte: Jesus vergibt die Sünden der Ehebrecherin, WEIL ER GOTT IST - weil nur Gott die Sünden vergeben kann. Und er ruft sie gleichzeitig auf, nicht mehr zu sündigen. Er zeigt also die Barmherzigkeit Gottes, betont aber gleichzeitig, dass der Mensch darauf auch die entsprechende Antwort - Abkehr von den Sünden - haben muss.

 
At 5/27/2005 01:33:00 AM, Anonymous Anonym said...

@ Erich
... weil das hier so unwidersprochen im Raum stehen geblieben ist:
Aus Ihrer katholischen Sicht mag die Tradition vor "ihrem liebsten Kind", die Heilige Schrift, gewachsen sein.
Und wenn sich das ausschließlich auf das NT bezöge, könnte ich sogar bis zu einem gewissen Grad zustimmen.
Aber historisch ist das halt keinesfalls, denn die Heilige Schrift umfasst eben auch das AT, und das ist wiederum jenes Zeugnis vom Wirken Gottes, auf das sich Jesus selbst immer wieder berufen hat, um es zu erfüllen - lt. Lukas wird er ja sogar in eine Reihe mit den alttestamentlichen Vorvätern als Nachfahre Davids gestellt.
Sie können es drehen und wenden wie Sie wollen - der Ursprung aller christlichen Kirchen liegt nun einmal im Judentum begründet. Jesus wurde als Jude geboren, im jüdischen Tempel getauft und hat nach jüdischen Traditionen gelebt.
Somit wären die christlichen Traditionen "lediglich" als eine Fort- und Andersschreibung der jüdischen Traditionen anzusehen.
Ihr christliches Gepräge haben die Jesu nachfolgenden Gemeinschaften erst mit Paulus bekommen, der ebenfalls Jude war und das Judentum dann u.a. auch insofern "überwand", als er offensiv auch außerhalb der jüdischen Gemeinden missionierte ...
Was ist also hier wessen Frucht, entstammt welcher Tradition? Was war zuerst? Wer oder was genau setzt denn nun den Anfang der katholischen Kirche? Waren etwa die Juden - und damit auch Jesus - die Neanderthaler der zivilisierten katholischen Christen? Ich bin gespannt ...

 
At 5/27/2005 11:27:00 AM, Blogger Dr. Matthias O. Will said...

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At 5/27/2005 11:37:00 AM, Blogger Petra said...

@anonym:

Ich glaube, da gerät einiges durcheinander: Christus hat nach christlichen Glauben den Bund Gottes mit dem jüdischen Volk vollendet und auf eine breitere Basis gestellt: Gott hat in Christus nicht mehr nur dem Volk Israel, sondern allen Menschen den Bund angeboten.

Und auch, wenn Israel oft als das "Volk der Schrift" bezeichnet wird: Gott hat sich dem Volk gegenüber durch diesen Bund (bzw. das damit verbundene Gesetz) offenbart - nicht umsonst sollen ja die Gesetzbücher zu den ältesten Teilen der Torah zählen...

Dass Christentum und Judentum engstens zusammenhängen und eine theologische Trennung zunächst auch für die Apostel nicht einfach war, wird aus der Apostelgeschichte - besonders aus der Erzählung vom Apostelkonzil - klar. Erst durch die Erkenntnis, dass Gott nun alle Menschen - unabhängig vom jüdischen Gesetz und den Reinheitsgeboten - zu Seiner Nachfolge berufen hat, ist die extensive Heidenmission überhaupt erst möglich geworden.

Natürlich kann sich die Kirchengeschichte nur auf die christliche Zeit beziehen - doch auch in Bezug auf das Alte Testament ist die Kirche von Bedeutung; hat sie doch jene griechischsprachigen sieben Bücher des Alten Testaments, die im Judentum am Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. aus dem Kanon geworfen worden, in ihrem Kanon bewahrt.

Der Protestantismus hat übrigens diese sieben sog. deuterokanonischen Bücher (Tobit, Judith, Makkabäer 1 und 2, Baruch, Weisheit, Jesus Sirach) - zum Teil aus theologischen Gründen (in Makkabäer kommt etwa das Gebet für die Toten vor), zum Teil wegen des Vergleichs mit dem jüdischen Kanon ihrer Zeit - aus dem Kanon geschmissen. (Nicht dass Luther manche neutestamentarische Bücher, etwa der Jakobusbrief, sonderlich gut ins Konzept gepasst hätten...)

 
At 5/27/2005 11:40:00 AM, Blogger mr94 said...

Auf jeden Fall ist klar, dass das NT ohne das AT überhaupt nicht zu verstehen ist - es gibt derartig viele Bezüge zwischen den beiden.

Interessant ist auch der Prozess der Kanonisierung des AT, der sich ja am Ende zeitlich mit der Entstehung des NT überschneidet. Und natürlich auch hier wieder die Differenzen zwischen Lutherbibel und Vulgata...

 
At 5/27/2005 11:40:00 AM, Blogger mr94 said...

Ups, Petra war wieder schneller und besser...

 
At 5/28/2005 01:22:00 AM, Anonymous Anonym said...

@petra: ... ich denke, da habe ich nichts durcheinander gebracht: Das Eine war die historische Frage nach dem ursprünglichen Woher unserer Traditionen, das andere, nämlich der Neue Bund mit Gott, der, wie Sie selbst schreiben, "in Christus nicht mehr nur dem Volk Israel, sondern allen Menschen angeboten" wurde.
Denn ab da wird es doch eigentlich erst spannend: Wenn erich schreibt, dass die Tradition vor der Schrift kommt, und diese Tradition von Menschen eingesetzt und meinethalben von der katholischen Kirche auf besondere Weise fortgeschrieben wurde - denn selbst in der kath. Kirche hat sich ja im Lauf der Jahrhunderte einiges verändert und wenigstens z.T. den Zeitläuften Rechnung getragen - dann wird hier m.E. der menschliche Interpretationsfaktor sehr evident. Die Seithiebe auf Luther, was er nun aus dem Kanon weggelassen hat oder auch nicht, widersprechen dem nicht, denn natürlich hat auch Luther geirrt bzw. seine Positionen im Laufe seines Lebens gewandelt - man denke nur an seine unglücklichen Äußerungen über Juden am Ende seines Lebens.
Aber es ist doch nicht nur "Kirchengeschichte", sondern Teil katholischen Glaubens gewesen, als es im Mittelalter zu den exorbitanten Machtkämpfen, Schismen und den verbrecherischen Kreuzzügen gekommen ist. Das alles gründete über Jahrhunderte hinweg darauf, dass die katholische Kirche, die allein seligmachende sei. (Und ja, auch die Evangelischen haben Hexen verbrannt - aber wir haben auch nie behauptet, per se allein seligmachend zu sein!)
Oder war die katholische Kirche etwa auch damals im Recht? Auch in Sachen Inquisition? Zu sagen, damals waren die Zeiten halt so, würde ich nicht gelten lassen, den zu Zeiten Jesu waren die Zeiten ja keineswegs besser ...
Oder noch anders: Wenn die Zeiten damals so waren, warum sollten sie gerade heute anders sein? Woher die Gewissheit, dass die Abweisung der evangelischen Kirchen im Sinne des Neuen Bundes rechtens ist und nicht in einigen Jahrhunderten von einem Papst anders gesehen wird?

 
At 5/28/2005 08:30:00 AM, Blogger Petra said...

@anonym:

Sie sprechen viele Punkte an, die man alle ausführlich beantworten müsste...

Die Frage nach der Tradition wurde hier schon öfter angesprochen, deshalb will ich noch einmal ein Missverständnis ausräumen: Nein, die Tradition wurde nicht von den Menschen eingesetzt. Die Tradition ist das, was die Apostel von Jesus Christus erhalten haben und zu deren unverfälschter Weitergabe sie berufen sind. 1 Kor 15:1-8 zeigt genau, was darunter zu verstehen ist: "Ich erinnere euch, Brüder, an das Evangelium, das ich euch verkündet habe. Ihr habt es angenommen; es ist der Grund, auf dem ihr steht. Durch dieses Evangelium werdet ihr gerettet, wenn ihr an dem Wortlaut festhaltet, den ich euch verkündet habe". Paulus setzt dann fort, was dieses Evangelium bedeutet: "Christus ist für unsere Sünden gestorben, gemäß der Schrift, und ist begraben worden. Er ist am dritten Tag auferweckt worden, gemäß der Schrift, und erschien dem Kephas, dann den Zwölf."

Die Aufgabe der Kirche ist es, dieses Evangelium unverfälscht weiterzugeben. Sie ist deshalb nicht befugt, irgendetwas an der Apostolischen Tradition zu ändern - da diese ja von Gott kommt. Die Kirche hat zwar von Christus das Versprechen erhalten, dass die "Mächte der Unterwelt sie nicht überwältigen" würden (Mt 16:18) - also dass sie in Glaubensfragen nie in Irrtum abirren wird -, aber das bedeutet natürlich nicht, dass ihr bzw. ihrer Führung Menschliches, Allzumenschliches fremd wäre. Dies trifft auf viele der von Ihnen angesprochenen Dinge zu. Wobei ich bei den Kreuzzügen doch vorsichtig wäre, immerhin war dort die Intention, die heiligen Stätten im Heiligen Land vor dem Ansturm des Islam zu schützen...

Papst Johannes Paul II. und Kardinal Ratzinger haben sich mehrmals sehr differenziert zu den dunklen Seiten der Kirchengeschichte geäußert. Ratzinger schreibt z. B. irgendwo (ich weiß leider das Buch nicht mehr), dass der Verlust der weltlichen Macht im 19. Jahrhundert eigentlich das Beste war, was der Kirche passieren konnte, weil sie sich dann besser auf ihre eigentliche Aufgabe besinnen konnte...

Auch die Inquisition ist eine kompliziertere Frage: es ist z. B. festzuhalten, dass zur damaligen Zeit Häresie ein vom Staat verfolgtes Verbrechen war und die Prozesse in den meisten Fällen staatliche Prozesse waren (natürlich mit kirchlicher Unterstützung, denn immerhin ging es ja um die Religion). Ratzinger merkt zur Inquisition an, dass deren Verfahren zur damaligen Zeit eher positiv gesehen wurden - denn bei der Inquisition fand immerhin eine ausführliche Untersuchung (wie schon der Name sagt) der Fälle statt - bei normalen Kriminalprozessen der damaligen Zeit wurde viel weniger Federlesens gemacht...

Dass die von Ihnen erwähnten Dinge (von "Schismen" und "Machtkämpfen" habe ich ja noch gar nicht geredet) allerdings irgendwas mit dem katholischen (=christlichen) Glauben zu tun hätten, halte ich allerdings ungefähr für so logisch, als würde man die Hexenverbrennungen oder den Siebenjährigen Krieg als direkte Produkte des evangelischen Glaubens hinstellen...

"Die allein seligmachende": Auch so ein missverstandenes Wort... Zuerst einmal ist Jesus Christus das Haupt der Kirche. Demgemäß ist natürlich die christliche Kirche die allein seligmachende.
Ich bin leider immer wieder verwundert über diese protestantische Sicht der Kirchengeschichte, wonach es ca. 1000 Jahre lang "die christliche Kirche" gegeben haben soll (über deren Ansichten - von der Apostolischen Sukzession bis zur Siebenzahl der Sakramente - man aber dann lieber kein Wort verliert), und dann plötzlich, irgendwann im Mittelalter, entstand die böse, böse "römische Kirche" (wann diese plötzliche Wandlung stattgefunden haben soll, ist aber irgendwie unklar), gegen die dann Luther ankämpfte und von der er sich mit seinen Anhängern abspaltete. Ab dem Zeitpunkt dieser Abspaltung ist die katholische Kirche dann plötzlich nur mehr eine "Konfession", hat aber bedauerlicherweise von ihrer zweifachen Wesensverwandlung nichts mitgekriegt und besteht dummerweise bis heute auf den gleichen Dingen, die schon die Kirchenväter im 2. oder 3. Jahrhundert für wahr gehalten hatten - nur Luther wusste es halt eben besser....

 
At 5/28/2005 09:20:00 AM, Blogger Dr. Matthias O. Will said...

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At 5/28/2005 10:57:00 AM, Blogger Petra said...

"Denn was sind denn nun im römisch-katholischen Sinne solche Glaubensfragen? Das ist mir nicht so ganz klar."

Z. B. alles, was im Apostolischen Glaubensbekenntnis steht.
Oder solche über Jahrhunderte heftig debattierten Fragen:
Was ist Christus? Nur ein göttliches Wesen, nur ein besonderer Mensch, oder gleichzeitig ganz Mensch und ganz Gott?

Was ist die Natur Gottes? Wie müssen wir Gott verstehen, wenn Christus Gott war, Er uns aber schon früher offenbart hat, dass es nur einen Gott gibt? Was ist die Natur von Vater, Sohn und Heiligem Geist? Sind das nur drei "Modi" Gottes (analog zu Wasser, Eis und Dampf), oder drei separate Personen, die aber alle die eine göttliche Substanz haben?

Um nur ein paar Beispiele, die schon in den ersten 1000 Jahren der Kirche mehr oder weniger zufriedenstellend gelöst wurden, zu nennen...

Du schreibst: "Ich kann nur immer wieder daran erinnern, dass Luther keine neue Kirche begründen wollte, sondern nicht mehr in der Kirche bleiben konnte. (...) er wurde abgespaltet, weil seine (vielleicht etwas naive) Hoffnung auf die Reformierbarkeit seiner Kirche sich als Irrtum herausgestellt hat."
Ja, und diese Situation musste Luther irgendwie lösen; nämlich indem er ein völlig neues und vorher noch nie dagewesenes Kirchenverständnis eingeführt hat, das die Apostolische und sichtbare Dimension der Kirche in das Reich der Märchen verbannte und postulierte, dass die Kirche im Grunde unsichtbar sei und sich aus allen Christusgläubigen zusammensetze. Da es diese sichtbare Dimension nicht gibt, gibt es auch keine Apostolische Sukzession und daher kein Weihesakrament, woraufhin auch Beichte (entgegen Joh 20,23) und Krankensalbung (entgegen Jak 5,14-16) unter den Tisch fallen. In der Ehe sah Luther (entgegen Mt 19,3-6 und Eph 5,21-33) bloß ein "weltlich Ding", und so war das natürlich auch kein Sakrament. Das Abendmahl konnte man nur schwer weginterpretieren, aber durch die Trennung dieses Sakraments vom Weihesakrament war nun jeder befugt, das Brot zu brechen und dadurch Christus in Brot und Wein präsent zu machen.

Die Situation mit den orthodoxen Kirchen ist eine wesentlich andere: hier geht es schlussendlich um eine Machtfrage. Die Orthodoxen (und andere Ostkirchen) haben genau das gleiche Kirchen- und Sakramentenverständnis wie die Katholiken, eine Apostolische Sukzession, usw. Es geht hier um eine innerkirchliche Spaltung, weil ein Teil der Kirche jene Autorität (nämlich die des Petrusamtes) nicht anerkennen will, die ein anderer Teil der Kirche schon anerkennt.

Eine Einheit mit den orthodoxen Kirchen wäre prinzipiell allerdings möglich: es müsste nur ein Konsens gefunden werden, was das Papstamt genau bedeutet und welche Autorität (im Sinne der Jurisdiktion) es über die heute getrennten Ostkirchen hätte. Es gibt hier aber keine tiefgehenden theologischen Gegensätze (zum Kirchenverständnis, zu den Sakramenten, zur Lehre über das Heil), das es mit den protestantischen Kirchen schon gibt.

 
At 5/28/2005 12:37:00 PM, Blogger Dr. Matthias O. Will said...

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At 5/28/2005 12:40:00 PM, Blogger Dr. Matthias O. Will said...

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At 5/28/2005 03:36:00 PM, Anonymous Anonym said...

@ petra:
Sie schreiben: "Ich bin leider immer wieder verwundert über diese protestantische Sicht der Kirchengeschichte, wonach es ca. 1000 Jahre lang "die christliche Kirche" gegeben haben soll"

Das sehe ich anders. Die ersten "Machtkämpfe" gab es bereits zwischen Paulus und Jakobus, und in dieser Tradition, nämlich in dem Spannungsfeld zwischen "bestem Wollen für Kirche und Glauben" und "das 'Beste', nämlich Macht, mit und von der Kirche wollen", sehe ich all die von christlichen Menschen eingeleiteten Veränderungen, Reformen und Irrwege, die leider immer wieder zu Abspaltungen führten anstatt die diversen, ja durchaus auch seriösen Glaubensinterpretationen innerhalb der Christenheit "auszuhalten".
Die "Häretiker" seinerzeit, angefangen bei den Katharern bishin zu den Waldensern, sind in erster Linie aus machtpolitischen Gründen verfolgt worden - sie haben nämlich, neben z.T. auch aus meiner Sicht durchaus zweifelhaften Glaubensansätzen, oft auch den Kirchenführern ihrer Zeit den Spiegel ihrer allzu menschlichen Verfehlungen vorgehalten, nach dem Motto, Wasser predigen und selber Wein trinken. Und Luther hatte lediglich das Glück, für seine "Spiegelungen" auf die sich gerade durchsetzende Buchdruckerkunst sowie starke politische Verbündete zurückgreifen zu können. (Letztere wollten natürlich auch nicht nur aus Selbstlosigkeit dem Treiben Roms ein Ende setzen - aber ohne sie wäre Luther schon sehr früh den Weg alles Irdischen gegangen.)
Nichtsdestotrotz finde ich Ihre Darstellungen der katholischen Grundsätze sehr instruktiv und in sich schlüssig.
Doch so lau und mit Fehlern behaftet die evangelische Kirche auch zuweilen daherkommt, sie ist mir in ihrer demokratischen Verfasstheit einfach näher. Dazu gehört auch das in der Summe schnellere Eingestehenkönnen von fundamentalen Fehlern, wie z.B. im Barmener Schuldbekenntnis nach dem II.Weltkrieg und dem millionenfachen Mord an den Juden.
Und ich weiß aus eigenem Erleben wie ernsthaft und keinesfalls beliebig in der evangelischen Kirche um den Glauben gerungen und gestritten wird - und genau das schätze ich an ihr: Das gegenseitige Aushaltenkönnen z.B. von Freiburger Pietisten bis hin zu feministisch-ökologisch oder sonstwie ausgerichteten Glaubensgruppen. Und wenn wir dann alle beim Abendmahl zusammenstehen und im Gedenken an Jesus trotz all unserer vielleicht kurz zuvor heftig ausgetragenen Unterschiede gemeinsam Wein und Brot empfangen, ist Gott für mich höchst lebendig.
Und wenn ich daran denke, auf welchem zivilisierten Niveau wir uns heute in diesem Blog miteinander austauschen können, im Gegensatz zu früher, als sich noch katholische mit evangelischen Schülern "kloppten" und ganz früher, als jeder die andere Seite als Handlanger des Teufels verurteilte, um schließlich blutrünstig übereinander herzufallen, dann verstehe ich nicht, warum die "Wahrheit" der katholischen Kirche darunter leiden würde, wenn sie auch offiziell das sanktionierte, was insgeheim längst geschieht, nämlich die gegenseitige Einladung zu Kommunion und Abendmahl ...
Die "formalen" Gründe, die die katholische Kirche daran hindern, wurden hier bereits u.a. auch von Ihnen genannt - aber die bei Ratzinger in einem anderen Blog hier erwähnte "Vernunft" spricht meines Erachtens schlicht für so ein ökumenisches Zeichen des gegenseitigen Respekts.

 
At 5/29/2005 10:52:00 AM, Blogger Petra said...

Hmmm... Ich versuche mal, die von Ihnen angesprochenen zahlreichen Punkte etwas auszusortieren...

Natürlich war und ist - wie ich schon geschrieben habe -, das Allzumenschliche der Kirche keineswegs fremd. Doch hat es immer wieder Leute gegeben (den Hl. Bernhard von Clairvaux, die Hl. Katharina von Siena, den Hl. Franz von Assisi, die Hl. Teresa von Avila...), die darum bemüht waren, der Kirche vorzuzeigen und vorzuleben, wie sie wirklich sein sollte - und manche von ihnen (wie die Hl. Katharina) sparten auch durchaus nicht mit lautstarker Kritik an den herrschenden Zuständen. Doch gleichzeitig bekannten sich diese Menschen ganz und vorbehaltlos zur Kirche - sie wollten sie in ihrem Wesen nicht ändern, sondern wollten vielmehr, dass sie ihre kleinlichen machtpolitischen Verstrickungen überwand und sich auf ihr eigentliches Wesen besann.

Wäre es Luther bei seiner Kritik an Ablasshandel und anderen Missständen nur darum gegangen, diese zu beseitigen, und hätte er sich gleichzeitig vorbehaltlos zum Lehramt der Kirche und zur Apostolischen Tradition bekannt: er würde heute als Heiliger der Kirche verehrt werden. Doch Luther ging es - wenigstens nach einiger Zeit - nicht mehr darum; sondern bereits darum, seine eigenen Theologie durchzusetzen (deren Prinzipien, wie sola scriptura oder die Ablehnung von fünf der sieben Sakramente, mit der Apostolischen Tradition unvereinbar waren).

Ähnliches gilt für viele der von Ihnen angeführten Gruppen im Mittelalter - diese hingen ja oft neo-gnostischen Prinzipien an (inklusive einer radikalen Ablehnung der Leiblichkeit und einer apostolischen Kirche). Und, wie wir wissen, waren sie ja durchaus nicht die armen Hascherln, wie sie oft dargestellt werden: sondern durchaus gut bewaffnete Gruppen, die jahrelang Krieg führen konnten.

"Das gegenseitige Aushaltenkönnen z.B. von Freiburger Pietisten bis hin zu feministisch-ökologisch oder sonstwie ausgerichteten Glaubensgruppen."

Es geht hier - wie bei vielen Dingen - um die Wahrheit. Wenn Christus die Wahrheit ist, kann man sich dann radikal von ihm abwenden und dann sagen, das sei mit dem christlichen Glauben immer noch vereinbar? Es gibt natürlich auch in der katholischen Kirche Frauengruppen, die glauben, die Verehrung der Großen Muttergöttin oder sonstwem sei irgendwie mit dem christlichen Glauben vereinbar. Diese werden auch - wenn auch sehr problematischerweise und mit Ach und Krach und Seufzen - toleriert, solange sie nicht sehr lautstark öffentlich ihre neuheidnische Vorstellungen als "katholische Theologie" verkünden. In der katholischen Kirche gibt's aber immerhin ein Lehramt, das eine Orientierung im Glauben gibt (etwas Ähnliches wird es wohl auch in der evangelischen Kirche geben, wenn auch nicht in ähnlich verbindlicher Form).

Und es geht der katholischen Kirche auch nicht um "formale" Gründe, sondern wieder um die Wahrheit. Entweder ist die Apostolische Tradition (inklusive der sieben Sakramente) die Wahrheit - oder nicht. Ein Zugang, der diese Differenzen mit aller Macht übertünchen will, ist zwangsläufig zum Scheitern verurteilt.

 
At 5/29/2005 05:16:00 PM, Anonymous Anonym said...

@petra:
... vielleicht das Problem zwischen uns: Sie meinen stets bei mir etwas aussortieren zu müssen, ich suche dauernd nach Bindegliedern ;-)
Im Ernst: Danke für Ihre Ausführungen, die die kath. Wahrheit zu erläutern suchen, auch wenn diese Wahrheit nach meinem Verständnis die Ökumene verhindert und so jedenfalls auch von mir nicht als Grundlage für Ökumene hinzunehmen wäre ...
Was übrigens auch im Gegensatz zur früheren und jüngeren Anpassungsfähigkeit der katholischen Kirche steht, wenn sie einerseits durchaus bereit war, heidnische Feiertage zu belegen und zu "transformieren", was dann nach wie vor auch die Ostereier "tolerieren" lässt oder auch in den afrikanischen oder anderen Ländern bereit war und ist, deren Rhythmen und z.T. noch animistische Weltbilder in die Gottesdienste zu amalgamieren ...
Und last, but not least - es war ja ein nun leider abgestrafter, zuvor m.W. nicht gerade als Revoluzzer bekannter katholischer Geistlicher in Berlin, der für seinen "Mut" zu bezahlen hatte, an einem Abendmahl während eines ökumenischen (sic!) Kirchentages teilzunehmen.
Sie werden (wieder) sagen: Der war eben neben der kath. Wahrheit - ich sage dazu: Obrigkeitsanmaßung, wo Gottes Geist regieren sollte ...
Schade!
So müssen wir halt jede/r für sich bleiben und können uns auch noch darüber streiten, wieviele Engel auf einer Nadelspitze Platz finden würden, wenn in den deutschsprachigen Ländern bald alle aus den kath. und ev. Kirchen ausgetreten sind.

 
At 5/29/2005 10:29:00 PM, Blogger mr94 said...

Interessante These, dass die Wahrheit die Ökumene verhindert. Ich denke, sie stimmt. Allerdings ziehe ich daraus andere Schlüsse als Sie (oder darf ich Du sagen?): In der Hierarchie meiner Werte steht die Wahrheit über der Ökumene. Es ist nämlich die Wahrheit, die in alle Welt (gr. oikoumenê) zu tragen der Auftrag aller Christen ist. Nicht umgekehrt - die Wahrheit solange zu biegen, bis sie aller Welt in den Kram passt.

 
At 5/29/2005 11:04:00 PM, Blogger Petra said...

Ich habe das Wort aussortieren verwendet, weil ich in Ihren Kommentaren immer wieder wichtige und interessante Punkte vermischt mit Missverständnissen, Halbwahrheiten und Unterstellungen die katholische Kirche betreffend vorgefunden habe.

So auch hier: die katholische Kirche hat nicht ihre Theologie verändert, um die heidnischen Götter und Feste zu integrieren. Im Gegenteil, sie hat sie in ihrem Sinne umgedeutet: wenn das Fest der "Unbesiegbaren Sonne" (Sol invictus) gefeiert wird - wer ist denn wirklich das unbesiegbare Licht, wenn nicht Christus?!

Ähnliches gilt für das heutige Afrika: dass beim Gottesdienst Bongo-Trommeln verwendet werden dürfen, bedeutet noch lange nicht, dass dafür die katholische Theologie umgekrempelt wird. (In Europa und den USA werden im Gottesdienst ja auch manchmal Popsongs gesungen, so what?) Das mit den animistischen Glaubensvorstellungen ist aber auch hier wieder eine andere Sache: ich kenne die Aufnahmeriten für die katholische Kirche relativ gut, und das Rituale enthält unter anderem auch einige Riten, die explizit dazu dienen, dass die Katechumenen dem Geister- und Dämonenglauben abschwören, bevor sie getauft werden. Ich weiß also nicht, wie sie meinen, dass "animistische Weltbilder" in die Gottesdienste "amalgamiert" werden... (Manche Nonnen in den USA haben wohl mehr mit Animismus am Hut als so mancher Afrikaner nach seiner Konversion zum katholischen Glauben... :-))

Um die Sakramententheologie und insbesondere die Eucharistie ausführlich zu erläutern, ist hier leider nicht der Platz. (Wird noch kommen - entweder hier oder in meinem Blog.) Nur so viel: Katholiken glauben daran, dass Brot und Wein von der Substanz her ganz in Leib und Blut Christi verwandelt werden, wenn ein geweihter Priester über ihnen die Wandlungsworte spricht. Evangelische Christen glauben, dass Christus in Brot und Wein gegenwärtig wird, aber nicht dauerhaft; und dafür auch kein besonderes Weihesakrament nötig ist.

 

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